Radfahrer haben bisher eher einen Bogen gemacht und die endlosen Weinfelder, silberschillernden Olivenplantagen und stillen Höhen links liegen gelassen. In der Region zwischen Nimes im Westen und Arles im Osten, zwischen der schluchtenreichen Ardeche im Norden und den flirrenden Sandstränden des Mittelmeeres im Süden waren bislang vor allem kilometerbolzende Rennradfahrer unterwegs und manchmal die Profis der Tour de France. Doch neuerdings finden auf den okzitanischen Landsträßchen unter schattigen Platanen immer öfter genußradelnde Radtouristen aus Deutschland ihr Glück im Sattel.Das mittlere Südfrankreich entwickelt sich zur spannenden Rad-Destination. Es muss nicht immer Toskana oder Istrien sein…
Von Lutz Bäucker, Team BR-Rad-Reisen
Es gibt sogar Radwege. Und was für welche ! Gut ausgebaut, schön breit, markant beschildert, abseits von Straßenlärm und Automobilisten-Gehabe. Ein Traum für deutsche Radler. Vom bezaubernden Provinzstädtchen Uzes zum Unesco-Weltkulturerbe Pont du Gard beispielsweise, auf der Trasse einer ehemaligen Bahnlinie, also mit mildem Höhenprofil, ein entspannter Genuß inmitten traubenreicher Felder.Die Zikaden zirpen, die helle provenzialische Sonne brennt auf die Helme . Das gleichmäßige Pedalieren wird zum mobilen Meditieren in mediterraner Landschaft. Wunderschöne riesige Schirmpinien, die von Napoleon für seine schwitzenden Landser in die Gegend gepflanzten Platanen, Akazien und knorrige Steineichen prägen das Bild.Vorbei an ockerfarbenen Bauernhäusern,mal durch dichte Wälder, mal über kahle Hochflächen mit Blick in die Unendlichkeit. Irgendwann rollt man in ein Dorf, am Marktplatz duftet es aus der Boulangerie(Bäckerei) unwiderstehlich nach frischen Croissants, hinter der Theke stehen die Baguettes fein säuberlich aufgereiht nach Typen, die staatlich festgesetzten Brotpreise beginnen bei 1,20 Euro- da schmeckt die Radlerbrotzeit mit Käse,Schinken und Oliven gleich noch besser !
Mittagsrast machen wir dann in einem Städtchen wie Goudargues. Mittendurch fließt träge das Flüsschen Ceze,links und rechts einladende Restaurants im Schatten der Platanen. „Chez Marianne“ offeriert das Mittagsmenü(„formule midi“) für 22,50: Rindercarpaccio mit Fritten und Salat,Dessert, ein Glas Wein und Cafe.Für 16,50 Euro greifen wir Radfahrer zum üppigen Salat mit Hähnchen- bon appetit! Am Nachmittag heißt es nämlich: Treten, treten,treten! Die Straße schlängelt sich gleichmäßig bergan,der Belag ist gut, der Verkehr mäßig. Die französischen Autofahrer haben noch etwas Probleme mit Radfahrern, hupen ungeduldig, riskieren unnötige Überholmanöver und schauen böse. Macht nichts, sie werden sich daran gewöhnen(müssen).Die Ebiker unter uns schalten von Stufe „Eco“ in „Tour“ und ziehen elegant den Berg hinauf.
Im Auge haben muss man aber nicht nur die Automobilisten,sondern auch die Eselsrücken. Die gibt’s in Okzitaniens Radlrevier nämlich zuhauf. Und sie sind genauso störrisch wie echte Esel. „Les dos d’ane“ nennen die Franzosen ihre massenhaft herumliegenden Verkehrsschwellen, die die zu flotten Provinzpiloten ausbremsen(sollen).“Dos d’ane“ bedeutet Rücken des Esels. Mal betoniert, mal aus schwarzgelb gestreiftem Kunststoff, mal bereits Hunderte von Metern vorab signalisiert,mal urplötzlich und unvermutet auf der Straße auftauchend. „Attention!“ kann man da nur rufen und hoffen, daß es den Fahrradbummler nicht unsanft aus dem Sattel hebt.
Ein solides Reparturset sollte man dabei haben, Werkstätten sind in der dünnbesiedelten Gegend eher rar. Pedelec -Fahrer sollten die Kapazität ihrer Akkus beachten, das Gelände ist hügelig mit manchmal richtig steilen Anstiegen(z.B. hinauf nach Les Baux oder vom Fluß Gardon auf die Hochflächen), die den Saft zügig aus den Batterien ziehen. Energieriegel und ausreichend Flüssigkeit gehören ebenso in die Packtasche wie Sonnenschutz ,Verbandszeug und – Badesachen. Jawohl.In Gardon,Ardeche und Ceze läßt es sich herrlich planschen, bei ausreichendem Wasserstand auch toll Kanu fahren.Und wer über Aigues Mortes an Flamingos vorbei bis ans Mittelmeer strampelt , findet endlos lange ,feinsandige Strände . Mit dem Bike in die Beach bar- eine feine Sache, Urlaubsfeeling pur. Liebhaber der Retro-Architektur rollen bis nach La Grande Motte: die von General De Gaulle Anfang der 1960er Jahre angeordneten Touristenburgen sind längst Kult geworden und unbezahlbar.
Von rasanten Abfahrten durch stille Eichenwälder( die Strecke vom festungsartig in der Landschaft thronenden Lussan hinunter nach Verfeuil oder die Tour-de-France- erprobten acht Kilometer von Cabrieres bis ans Flußufer bei Collias sind echte Schmankerl!) über das wohlige Sicherheitsgefühl auf den grün getünchten Radboulevards bis hin zu den Pausen in lebhaften Orten wie Saint Remy de Provence oder Sommieres- Fahrradurlaub in Okzitanien hat etwas Besonderes.Die Strecken sind nicht überfüllt, die Luft ist mild, der Rosewein süffig und das Essen sehr schmackhaft. „Les herbes de Provence“ werden nicht ohne Grund hierzulande fertig verpackt verkauft. Auf den Märkten gibt’s phantastisches Obst und Gemüse. Nur das Bier ist teuer, vor allem das richtig Gute aus Belgien. Und die Anreise aus Deutschland zieht sich gewaltig. Doch wer einmal beim Anstieg den Duft der Pinien, des Lavendels oder des Meeres eingesogen , das helle Licht des Südens gesehen hat, dem sind alle Bierpreise und Reisestrapazen egal.
Radeln über Eselsrücken macht man schließlich nicht alle Tage…